Sprache ist der Schlüssel zur Welt – doch immer mehr Kinder in Niedersachsen starten mit deutlichen Sprachdefiziten in die Schule. 15 Kommunen in Niedersachsen haben Sprachtests bei allen Kindern durchgeführt und festgestellt, dass ein Viertel dieser Kinder Sprachdefizite hat. Im selben Zeitraum waren in ganz Niedersachsen nur 1.214 Kinder außerhalb der Kita durch Sprachdefizite aufgefallen. Dies zeigt, dass ein großer Teil der Kinder Schwierigkeiten mit der Sprache hatte, obwohl sie in der Kita waren. Auch das Gesundheitsministerium wies letztes Jahr darauf hin, dass immer mehr Kinder in den Schuleingangsuntersuchungen Sprachmängel aufweisen und die Anzahl immer weiter steigt.

Ein Verweis auf bestehende Gesetze und Programme, wie es in der Plenardebatte SPD und Grüne getan haben, hilft hier nicht weiter. Die Zahlen zeigen, dass die bestehenden Gesetze und Programme nicht die gewünschte Wirkung entfalten. Wir müssen die frühkindliche Sprachförderung deshalb neu denken und neue Wege ausprobieren, um möglichst vielen Kindern einen guten Start in die Schule zu ermöglichen.

Andere Bundesländer haben längst gezeigt, wie eine zielgerichtete Sprachförderung vor der Einschulung aussehen kann: Verbindliche Sprachtests, verpflichtende Fördermaßnahmen bei Bedarf und eine enge Verzahnung von Kita und Grundschule sorgen dort dafür, dass Kinder rechtzeitig die Grundlagen der deutschen Sprache erwerben.

In Niedersachsen gibt es auf dem Papier zwar eine Sprachförderung für Kinder, die nicht in der Kita sind und Sprachdefizite haben, in der Praxis müssen die Schulen die dafür vorgesehenen 32.000 Lehrkräftestunden nicht zur frühkindlichen Förderung einsetzen. In den Kitas findet aktuell alltagsintegrierte Sprachförderung statt. Dies ist auch eine wichtige Förderung, die beibehalten werden soll. Diese Förderung funktioniert aber nicht an Kitas, an denen ein sehr hoher Anteil der Kinder kein Deutsch spricht. Zudem befinden sich Kinder auf verschiedenen Lernniveaus, weshalb die Arbeit in Kleingruppen ein wichtiger Baustein ist, wie er zum Beispiel in Bremen umgesetzt wird.

Statt auf Freiwilligkeit oder pauschale Angebote zu setzen, muss die Sprachkompetenz jedes Kindes bereits im vorletzten Kitajahr verpflichtend überprüft werden. Zeigt sich dabei ein erheblicher Förderbedarf, sollen die betroffenen Kinder im letzten Jahr vor der Einschulung an intensiven Sprachprogrammen teilnehmen – und zwar in einem Umfang, der wirklich wirkt, beispielsweise 240 Stunden, wie es in Bayern erfolgreich praktiziert wird.

Hierfür stärken wir die Kitas als zentrale Orte der frühkindlichen Sprachförderung. Erzieherinnen und Erzieher leisten bereits jetzt Großartiges, doch sie brauchen mehr Unterstützung. Wir müssen sicherstellen, dass Kitas genügend finanzielle und personelle Ressourcen erhalten, um Sprachförderung gezielt und wirkungsvoll umzusetzen. Hierfür müssen wir den Finanzausgleich erhöhen, damit weitere Sprachkräfte in die Kitas kommen können. Jeder Lehrkraft ist geholfen, wenn die Kinder in der ersten Klasse dem Unterricht folgen können. Deshalb wollen wir die 32.000 Lehrkräftestunden dort einsetzen, wo sie hingehören: In die frühkindliche Sprachförderung. Andere Bundesländer haben schon gezeigt, wie Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher in der Sprachförderung zusammenarbeiten können.

Ebenso wichtig ist eine generell bessere Zusammenarbeit beim Übergang in die Grundschule. Es muss klar geregelt sein, wie Erzieherinnen und Erzieher, Grundschullehrkräfte und gegebenenfalls externe Fachkräfte gemeinsam dafür sorgen, dass Sprachförderkonzepte ineinandergreifen. Bereits bestehende Programme – etwa „Fit in Deutsch“ – sollten landesweit evaluiert und an einem einheitlichen Qualitätsstandard ausgerichtet werden. Eine durchgängige Sprachbildung, die vom frühkindlichen Bereich bis zur zehnten Klasse reicht, stellt sicher, dass Kinder mit zusätzlichem Förderbedarf nicht an der nächsten Bildungsstufe erneut scheitern.

Wir müssen die frühkindliche Bildung verändern. Das kostet Geld und Personalressourcen. Als Land müssen wir uns aber fragen, was uns die frühkindliche Bildung wert ist. Anstatt Lehrkräfte als Erstsprachbeauftragte anzustellen oder zusätzliche Stunden für Freiräume-Prozesse zu vergeben, sollten wir unseren Schwerpunkt auf die Sprachbildung legen.

Je eher Kinder Deutsch lernen, desto leichter fällt ihnen später das Lesen, Schreiben und die aktive Teilnahme am Unterricht. Wer rechtzeitig fördert, spart sich teure und oft weniger effektive Fördermaßnahmen in den höheren Klassen – ganz zu schweigen von den persönlichen Folgen für die Kinder, die sonst dauerhaft hinterherhinken.

Ein verbindliches Verfahren für den Sprachstandstest im vorletzten Kitajahr, verpflichtende Förderstunden bei Defiziten, mehr Unterstützung für Kitas und ein abgestimmtes Konzept von der Kita bis zur weiterführenden Schule sind machbare Schritte, um allen Kindern echte Bildungschancen zu eröffnen. Es ist an der Zeit, die bestehenden Gesetze und Programme zu überarbeiten und die frühkindliche Sprachförderung neu zu denken und konsequent umzusetzen – damit Sprache wirklich zum Schlüssel für die Welt wird, nicht zur unüberwindbaren Hürde.